Marta Museum Herford, 10.45, an einem trüben Donnerstag morgen. Ein Bulli hält vor dem Haupteingang. „Sie können jetzt Fotos machen.“, ermuntert die Pressesprecherin des Museums die anwesenden Medienvertreter. „Das Kunstwerk steigt aus.“ Ein Fahrer öffnet die Seitentür, heraus tritt auf hohen Absätzen ein perfekt geschminktes, freundlich lächelndes Zwillingspaar mit glatt rasierten Köpfen und unklaren Geschlechts: EVA&ADELE – das Künstlerduo, das auf Kunstmessen und Vernissagen schillernde Auftritte in pinkfarbenen Kostümen feiert.
Individuelle Kleidung trug das Künstlerduo zuletzt 1991. In „zwei wunderschönen, kostbaren, weißen Brautkleidern aus Samt und Seide“ gaben sie sich das Versprechen, die Existenz als Einzelkünstler aufzugeben, zu einer Werksperson zu verschmelzen, grundsätzlich gemeinsam an ihrem zeichnerischen Werk zu arbeiten, ausschließlich identische Kleidung zu tragen und diese Dauerperformance ein ganzes Leben lang durchzuhalten. Bezeugt wurde ihre Verpflichtung von zwei Trauzeuginnen in schwarzen Kostümen – den Schneiderinnen der Brautkleider.
Selbstgeschneidertes von Freundinnen tragen EVA&ADELE heute nur noch selten, inzwischen bewerben sich Designer weltweit, um die Künstlerinnen mit Kleidung und Accessoires auszustatten. Die Pressekonferenz ihrer Ausstellung im Marta absolviert das Künstlerduo in taillierten Blazern aus schwarzem Walkloden, dekoriert mit knalligen Stoffrosetten, bunten Röcken von Wunderkind, die Wolfgang Joop extra für sie gefertigt hat, dazu schwarze Strümpfe mit perfekt sitzender Naht, Pumps und Taschen in Pink, rosa Ohrclips und Armbanduhren mit rosa Lederband.
In die ostwestfälische Provinz sind die Künstlerinnen mit großem Gepäck gereist: ein Outfit für den Aufbau ihrer Ausstellung, ein Outfit für die Pressekonferenz, ein Outfit für die Preview, ein Outfit für einen Ausflug, und ein Outfit für die Eröffnung, jeweils mit dazu gehörenden Accessoires wie Schuhen, Handtaschen und Schmuck. Und ein Reiseoutfit. Wie, bitteschön, reisen denn EVA&ADELE? „Im typischen EVA&ADELE-Chic. Klassisch und gut geschnitten. Man muss darin auch am Flughafen einen Koffer vom Gepäckband heben können. Das ist vielleicht für andere Damen kein Thema. Die haben einen Kavalier dabei, der die Koffer vom Band hebt.“, berichtet ADELE augenzwinkernd.
Im eigenen Leben und in der künstlerischen Arbeit gibt es für EVE&ADELE keine Unterscheidung mehr zwischen Mann und Frau. Sie sind zu einem 3. Geschlecht geworden, das weibliche Kleidung mit dem männlichen Konzept der Kahlköpfigkeit kombiniert. „Der rasierte Schädel ist für uns, ganz ehrlich gesagt, ein riesiges Opfer.“, erläutert ADELE. „Wir haben unsere Haare immer sehr geliebt, müssen aber für unser Konzept der Grenzüberschreitung der Geschlechter darauf verzichten.“ Mit ihrem Bekleidungskonzept sind die Künstlerinnen jedoch im Reinen. „Ich glaube, dass wir es geschafft haben, aus unseren persönlichen Vorlieben unseren Stil zu kreieren. Deswegen vermissen wir gar nichts.“ Nur in ihrem maskenhaften Make Up weichen EVA&ADELE von ihrem Zwillingslook ab. „Wir begreifen es als ein gemaltes Bild auf unserem Gesicht, das wir täglich neu erfinden. Jeden Morgen erstellen wir mit Mitteln der Malerei die Kunstfiguren EVA & ADELE.“
Grellbunte, fetischistische Ritterrüstungen
In ihrer Ausstellung in Herford geben die Künstlerinnen erstmals berührende Einblicke hinter die Kulissen ihrer schrillen, öffentlichen Auftritte. Zeichnungen auf Papier und auf Batisttaschentüchern mit schön umhäkelten Rändern dokumentieren den beklemmend schweren Weg EVAs, die 2009 ihre Geschlechtszugehörigkeit änderte. Daneben werden verstörende Portraits der Unzertrennlichen mit ineinander geblendeten Augen, Doppelmündern und Deformationen gezeigt, die Abgründe bei der Neuerfindung der Identität andeuten.
In der Mitte des langen, schmalen Ausstellungsraumes im Marta stehen in langer Reihe 18 Kleiderpuppen, jeweils eine groß und eine klein. Sie zeigen extravagante Zwillingskostüme, die die Künstlerinnen in den 90er Jahren trugen, als sie großteils in New York lebten. Die Outfits bestehen aus schmalen, kurzen Röcken und Jacketts mit Schößchen, angedeuteter Schleppe und reptilienhaften Kragen. Außen fetischistisch anmutendes Vinyl, hochglänzend und lackartig, an dessen glatter Oberfläche alle äußeren Einflüsse abperlen, innen mit Seide gefüttert. Die strengen Kostüme stehen einerseits für ein künstlerisches Konzept, das Distanz ausdrückt, andererseits muten sie wie eine Rüstung an, eine zweite Haut, die Schutz und Halt bietet. „Das war uns wichtig als Umfassung des Körpers. Aber in den 20 Jahren, die wir zusammen leben und arbeiten, sind wir wesentlich freier geworden und haben angefangen, luftigere, leichtere Kleider zu tragen.“
Die Künstlerinnen leben außerhalb gesellschaftlicher Normierungen wie Alter, Besitz, gesellschaftlicher Status und Mode. „Wir haben uns komplett aus den Verhaltensmustern der Gesellschaft herausgestellt. Wir sind nicht mehr berührbar von den traditionellen Mechanismen, in denen sich andere Menschen befinden. Wir sind aus all diesem ausgestiegen, und das ist ein riesiges Geschenk.“ Dennoch ist die Existenz als lebenslanges Dauerkunstwerk und zwillingshafte Werksperson, die sich obszessiv mit dem eigenen Äußeren beschäftigt, extrem anstrengend und nur durch den regelmäßigen Rückzug in die Einsamkeit des Berliner Ateliers zu ertragen. „Wir haben eine sehr dichte Kommunikation mit Menschen, auch non-verbal. Durch die Form, in der wir uns darstellen, haben wir eine Intensität, die sich andere Menschen wahrscheinlich nicht vorstellen können.“ Die Auftritte von EVA&ADELE provozieren Reaktionen. Blicke, Verwirrung, Unverständnis, Glücksversprechen, Ablehnung. Und Fragen nach der menschlichen Existenz. Wie lebe ich mein Leben? Was lasse ich hinein, was nicht? Welche Rolle will ich in der Gesellschaft spielen? Welcher will ich mich verweigern?
Bei EVA&ADELE gibt es keine Trennung zwischen Kunst und Leben, kein Leben außerhalb von EVA&ADELE. Wie bleiben die Künstlerinnen trotz dieser permanenten Aufmerksamkeit einer irritierten Öffentlichkeit bei sich? Wie gehen sie damit um, ständig als Sensation bestaunt und fotografiert zu werden? „Es erhöht das Bewusstsein für seinen eigenen Körper, für seine Gesundheit, seine Ausstrahlung und seinem Denken. Wir empfinden es als großes Geschenk, dass wir uns zu dieser Performance, die so radikal und auch sehr kräfteraubend ist, entschieden haben.“ Das Ergebnis ist Freiheit. „Ein komisches Paradox.“, gibt EVA zu. „Wir haben die eiserne Disziplin, unser Werk aufrecht zu erhalten, und gleichzeitig erleben