Frida Kahlo: Ein künstlicher Zahn mit rosa Diamanten

Frida Kahlo
Auftritt Frida Kahlo im Palast der schönen Künste in Mexico City. Sie ist mal wieder zu spät dran. Die Ouverture zu Parsifal erklingt bereits, doch die Musik aus dem Orchestergraben wird übertönt durch Geklapper und Geklimper. Alle Blicke gehen nach oben in die Loge im zweiten Rang, wo Frida gerade Platz nimmt. Ihre bauschigen Röcke rascheln, ihre wagenradgroßen Ohrringe scheppern, ihre schweren Ketten und unzähligen Armreifen klingeln.

Frida Kahlo war eine auffällige Erscheinung mit dramatisch hochgestecktem Haar und spektakulären Outfits, immer leicht over the top. Sie brauchte ihre aufwändige Selbstinszenierung. Wie sonst sollte man das Leben ertragen? Ihre Bilder sind Ausdruck großer Einsamkeit. Sie erzählen von einem Albtraum, der durch Operationen, Fehlgeburten und körperlichen Schmerz geprägt ist und spiegeln das Gefühl des Ausgesetzt Seins und der Hoffnungslosigkeit wider. Gut, es gab hier und da Unruhen amouröser Art, aber allesamt nichts als Zeitvertreib. Life und Vogue schrieben über sie, aber was war das schon? Sie hielt sich für klein und unbedeutend, sie hatte Themen, die anscheinend nur sie ansprachen und niemanden sonst. „Ich führe ein Leben als Blumentopf und komme nicht über den Balkon hinaus. Mir ist sooooo langweilig!!!!“, schrieb sie an ihren Freund Alejandro Gómez Arias. (Jetzt wo du mich verlässt, S.57).

Wo immer Frida erschien, sofort stand sie im Mittelpunkt. In New York und San Francisco liefen ihr die Kinder johlend auf der Straße nach, weil sie dachten, sie gehöre mit ihren wallenden Röcken, weißen Calla im Haar und präkolumbianischen Ohrgehängen zum Zirkus. Aus einem Hotel in San Francisco sollte sie hinausgeworfen werden, weil sie in einem Handwerker-Blaumann mit Maokappe im Speisesaal erschienen war. In Detroit beherrschte sie von dem Moment an die Schlagzeilen, als sie in einem theatralischen Aufzug aus dem Zug stieg. Langes Kleid aus schwarzer Brokatseide mit einem riesigen, dunkelgrünen, bestickten Seidenschal. Dazu trug sie „Sandaletten mit hohen, dünnen Absätzen, schwere, dunkle Bernsteinperlen, eine Jadehalskette und aus Jade geschnittene Ohrgehänge.“ (Herrera S. 136) Dagegen sahen die neureichen Detroiter Stahl-Gattinnen wie Betschwestern aus. Frida machte sich einen Spaß daraus, die langweiligen Teegesellschaften durch den Gebrauch von Fäkalausdrücken zu brüskieren. Wollte sie auf einer Cocktailparty besonders glänzen, ersetzte sie ihre Goldkronen durch einen künstlichen Zahn mit rosafarbenen Diamanten. Provokativ trug sie allen Goldschmuck, den ihr Mann, der mexikanische Künstler Diego Rivera, ihr je geschenkt hatte. Diego. Ihr Universum. Ihr kleiner Junge. Ihr Mann. Ein flatterhafter, unkontrollierbarer Senor, mit dem es nicht leicht zu leben war und dessen gemarterte Künstlerseele allerlei weiblichen Zuspruchs bedurfte.

Im Februar 1939 kam Frida zu ihrer ersten Ausstellung nach Paris. Diego Rivera hatte ihr geraten: „Sei nicht dumm. Schon um meinetwillen möchte ich nicht, dass Du Deine Chancen in Paris verpasst. Nimm alles mit, was das Leben Dir bietet, was es auch sei. Hauptsache, es ist für Dich interessant und macht Dir Freude. Wenn man alt ist, weiß man, was es heißt, Gelegenheiten verpasst zu haben, die sich einem boten und die man nicht beim Schopf ergriffen hat.“ Frida plante ihren Auftritt so perfekt, dass die Stadt ihr zu Füßen lag. In ihrem Gepäck befanden sich ein bodenlanger, purpurfarbener Trachtenrock mit fliederfarbigem Unterrock, wie ihn mexikanische Bäuerinnen trugen und ein seidengefütterter, mit Blumen bestickter Poncho aus braunem Samt mit einer Pelerine, die ringsum mit Seiden- und Samtfransen besetzt war. Das von Frida verbreitete Gerücht, sie trage im kalten Pariser Winter unter ihrer Kleidung weder Strümpfe noch Unterwäsche, dürfte die allgemeine Aufregung weiter befeuert haben. Elsa Schiaparelli kreierte Frida zu Ehren ein Kleid und nannte es „La Robe Madame Rivera“. Leider falsch. „La Robe Frida Kahlo“ wäre angemessener gewesen. Noch lieber hätte sie es gehabt, die Modeschöpferin hätte ihr ein Bild abgekauft. Immerhin nahm ihr der Louvre eins ab. Urplötzlich wollten alle Pariserinnen so aussehen wie sie und kleideten sich à la Mexicana. Lächerlich war das in Kahlos Augen und absolut vergeblich. Sie sahen geradezu wie Schießbudenfiguren aus. Überhaupt diese Franzosen! „Ihr habt ja keinen Schimmer, was Breton und fast die gesamte Surrealistengruppe für erbärmliche Kakerlaken sind. Kurzum, sie sind ausgemachte Sch…kerle.“, schreibt Frida nach Hause (Jetzt wo Du mich verläßt, S.196). Betroffen berichtet sie von ihren Begegnungen mit Menschen, die aus den Konzentrationslagern der Deutschen fliehen konnten. „Diese erbärmlichen Franzosen haben sich gegenüber den Flüchtlingen wie Schweine verhalten; sie sind Dreckskerle von der schlimmsten Sorte, die ich je kennengelernt habe. Diese ganzen verkommenen Leute in Europa widern mich an, diese jämmerlichen „Demokratien“ sind keinen Pfifferling wert…“ (Jetzt wo Du mich verläßt, S. 197-8)

In einem Selbstbildnis aus dem Jahr 1934 steht Frida Kahlo nackt vor dem Betrachter. Ihr Oberkörper wird von einem orthopädischen Korsett gestützt. Ihr linkes Bein ist mit hellblauen Schmetterlingen bemalt. Im Übrigen ist sie unbekleidet, bis auf ein prächtiges, vollkommen durchsichtiges Gewand. Sie gab der Arbeit den Titel „Erscheinungen können trügen.“ So wie Fridas farbenfroher Anblick und ihr forsches Auftreten trogen. Ursache waren zwei Tragödien, die eintraten, bevor Frida erwachsen war. Mit 6 Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung. Die Folge war ein verkrüppeltes und verkürztes rechtes Bein. Der zweite traumatische Vorfall ereignete sich am 17. September 1925, als sie im Alter von 18 Jahren bei einem Straßenbahnunfall lebensgefährlich verletzt wurde. Eine Eisenstange hatte ihren Unterkörper durchbohrt. Das Resultat waren schwere innere Verletzungen und ein dreifacher Bruch der Wirbelsäule. Das Schlimmste aber war das rechte Bein. Es war an elf Stellen gebrochen.

Fridas Schlafzimmer liegt im 1. Stock im äußersten linken Eck des Blauen Hauses in Coyoacán, einem Vorort von Mexico City. Hier hat sie gelebt und gearbeitet, hier ist sie gestorben. Mitten im Raum steht ihr schmales Himmelbett, rechts davon führt der Weg über zwei Treppenstufen und durch eine Metalltür mit Milchglasscheiben in ihr weiß gefliestes Bad und Ankleidezimmer. Es schien, als hätte man alles gewusst über Frida Kahlo, als fast 60 Jahre nach ihrem Tod das Schloss, mit dem dieser Bereich des Hauses verriegelt war, entfernt wurde. Als sie gestorben war, wurde der Raum auf Wunsch ihres Mannes verschlossen. Erst 2004, 50 Jahre nach ihrem Tod, wurde er wieder geöffnet.

Fridas persönliche Hinterlassenschaft verbarg sich in einem bescheidenen, weißen Kleiderschrank und in Pappkartons. Zu ihr gehören Liebesbriefe, ein Flakon mit Schiaparellis Parfüm „Shocking“, Medizin, Schmuck, orthopädisches Gerät und ihre Garderobe. Ein reicher, überbordender Fundus aus 300 Kleidungsstücken, darunter ein mintgrüner Strick-Badeanzug mit angeschnittenem Bein und einer Kordel als Neckholder-Verschluss sowie eine Cateye-Sonnenbrille, oben grau, unten gelb. Nicht zu vergessen Fridas Schuhtick. Alle Schuhe handgefertigt. Pinke Stiefeletten aus Leder mit weißem Spitzenbesatz und lila Seidenstiefeletten mit aufgestickten silbernen Glasperlen und gelben Schnürbändern. Der rechte Schuh jeweils mit erhöhtem Absatz und erhöhtem Schaft. Jedes einzelne Teil aus diesem Nachlass wurde in den folgenden Jahren von Experten restauriert und konserviert, sodass Fridas Kleidung heute eine der am besten dokumentierten und gesicherten Garderoben ist.

Frida Kahlo dekorierte ihr Haus und sich mit großer Sorgfalt. Diego durfte schließlich nicht gelangweilt werden. Er sammelte Frauenbekanntschaften ebenso eifrig wie präkolumbianische Plastiken, war jedoch selbst überaus eifersüchtig. Wenn anderen Herren sich für seine Frau interessierten, schätzte er das gar nicht, ermutigte Frida jedoch, mit Frauen zu schlafen. „Warum nenne ich ihn meinen Diego? Er war nie mein und wird es nie sein. Er gehört sich selbst. Rennen, so schnell es geht …“ vertraut Frida ihrem Tagebuch an (Gemaltes Tagebuch S.235).

Einige Frauen kämpfen, andere nicht. Wie so viele andere Guerillakriegerinnen im Kampf der Geschlechter versuchte Frida Kahlo Diego in ihr Netz einzuspinnen, wenn er denn kam, der alte Plauderer und Vielfraß. Sie schob die Schmerzen in ihrem verdammten Fuß beiseite und begann, auf ihrem Esstisch Ananas, Papayas, Kokosnüsse, Avocados und Orangen zu drapieren. Dazu eine Kammmuschel, Steine. Jeden Tag ein neues Stillleben. Im Garten ließ sie einen Zaun aus hochgewachsenen Kakteen anlegen. In dem kleinen, exotischen Garten gab es Wasserläufe, einen Springbrunnen, einen Fischteich und üppige Beete mit Dahlien, Amaryllis und Bougainvillea. Auf den Stufen einer nachgebauten aztekischen Pyramide waren Diegos Sammlung präkolumbianischer Skulpturen ausgestellt; auf den Mauern standen Sukkulenten in schönen Terracotta-Gefäßen. Und dann waren da noch ihre Tiere, ihre liebsten Gefährten und besten Freunde. Ihre Eichhörnchen im Käfig, das Reh, Tauben, zahme Papageien, der Klammeraffe, Katzen, Fische, Frösche, ein nacktes Hündchen.

Nichts an ihrer Umgebung und ihrer Erscheinung überließ Frida Kahlo dem Zufall, alles hatte eine Bedeutung. Seit ihrer Kindheit benutzte sie Kleidung, um ihre Behinderung zu kaschieren. Schon als Sechsjährige begann sie, lange Röcke und einen orthopädischen Stiefel zu tragen, um das Handycap ihres verkürzten und verkrüppelten Beins auszugleichen. Damit ihr Fuß im Schuh mehr Halt hatte, trug sie drei oder vier dicke Wollsocken übereinander. Als erwachsene Frau strukturierte sie ihre Outfits dreiteilig und betonte ihren Kopf und die Bereiche oberhalb der Taille, um vom deformierten unteren Teil des Körpers abzulenken. Viel Zeit verwandte sie auf auffälligen Kopfschmuck, Haarpflege und ihre Frisuren. Jeden Morgen flocht sie Zöpfe, stecke sie in barocken Formationen zu einem Mond oder einer Krone auf und schmücke sie mit Seidenschleifen, Spangen, Kämmchen und Blumen aus ihrem Garten. Am liebsten Bougainvillea, Dahlien, Calla, Chrysanthemen und Lotosblüten. Je größer, desto lieber. Gelegentlich umwickelte sie ihre Haare mit dicken, bunten Wollkordeln. Es ließ die ungefähr 1.55m große Frida größer wirken. Das konnte nicht schaden angesichts von ihm, des Kolosses von Ehemann.

Frida Kahlo trug mit Vorliebe Tehuana-Trachten aus dem Südosten Mexikos. Sie ließ sie von indigenen Schneiderinnen für sich anfertigen. Miguel Covarrubias beschreibt die Bewohnerinnen dieser matriarchalischen Gesellschaft als „schwatzende Indianerinnen, die mit ihrer bunten Kleidung wie Tropenvögel anmuten und deren musikalische Sprachen an China denken lassen; die aristokratische Haltung und klassische Eleganz der Tehuana, wenn sie in vollendeter Anmut gewaltige Frucht- und Blumenlasten auf dem Kopf zum Markt balanciert oder zu den neusten Melodien des Swing tanzt – barfuß, jedoch in herrliche Seidenstoffe gekleidet und mit münzenbehangenen Goldketten geschmückt, die Hunderte Dollar wert sind.“ (zitiert nach „Fridas Kleider“, S.53) Die Tehuana Tracht gilt als Symbol weiblicher Macht und Unabhängigkeit. Frida setzte dieses Outfit auch ein, um sich damit in der Kunstwelt zu positionieren, zu einer Zeit, als immer mehr Künstlerinnen um Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Arbeit kämpften. In Kahlos Fall auch um die Wahrnehmung als autonome, von ihrem Mann unabhängige Malerin.

Frida bevorzugte als Oberteil eine kurze, lose, kastenartige Trachtenbluse(huipil). Sie bauschte sich nicht am Rockbund, besonders nicht im Sitzen oder Liegen, was für Frida wichtig war, da sie oft für lange Zeit an den Rollstuhl oder ans Bett gefesselt war. Dazu trug sie weite Tehuana Röcke, entweder als bequeme Wickelröcke oder mit Bündchen. Ihr Kleiderschrank enthält 20 prächtige Exemplare, meist aus Seide oder Leinen. Samt war zu schwer für ihren zarten und geschwächten Körper. Samt gab es nur als aufgesticktes Blumenmuster auf einem mauvefarbenen Rock aus Seidentaft. Sie liebte Farben und Schmuck. Zwanzig Ringe, billige Glasperlen, Muscheln, schwere Maya-Halsketten aus Jade, Korallenketten und immer wieder Ohrringe. Goldene Tropfen mit Aquamarinen, kleine Hände, die Picasso ihr geschenkt hatte, Schmetterlinge mit frei herunter hängenden Stäbchen, die sich bei jeder Bewegung wellenförmig drehen oder riesige Blumenbuketts, die sie wegen ihres Gewichts nur zu Portraitaufnahmen trug. Ihre Garderobe war erlesen und maßgefertigt. Sie kombinierte mexikanische Trachten mit westlichen Oberteilen, trug dazu präkolumbianischen Schmuck und gelegentlich Maojacken. Eine schillernde ethnische Mischung, doch bei Frida fügte sich alles ganz ruhig zusammen und ergab ein stimmiges Bild, das ihre mütterlich-mexikanische sowie ihre väterlich-europäische Herkunft zum Ausdruck brachte und sowohl ihr Kulturbewusstsein als auch ihre politische Gesinnung dokumentierte.

1940 brach Fridas Welt zusammen. Der ungezogene Junge, der gottverdammte Hurenbock, von dem sie gewohnt war, dass er tagelang mit Frauen verschwand, mit den aufstrebenden Schauspielerinnen und den jungen Malerinnen mit Talent, „einem Talent, das stets in direkter Verbindung zur Temperatur ihrer Wäsche steht“ (Jetzt wo Du mich verläßt, S.220), war dieses Mal zu weit gegangen. Er hatte sie mit ihrer Schwester betrogen. Einem Freund schrieb sie: „Eine große Scheiße, Kid. Ich kann ihm nicht verzeihen.“ (Jetzt wo Du mich verläßt, S. 212). Kurzerhand ließ sie sich von ihm scheiden. Auf dem in diesem Jahr entstandenen Selbstbildnis „Self Portrait with Cropped Hair“ sitzt sie in einem unförmigen, viel zu großen Herrenanzug auf einem Holzstuhl. Ihr kurz geschnittenes Haar ist aus der Stirn gekämmt. Um sie herum, auf dem Boden, auf den Streben und Lehnen des Stuhles, auf ihrem Anzug, auf ihren Schuhen, überall sieht man ihre langen, abgeschnittenen Haarsträhnen, die „wie die Nervenenden einer gepeinigten Seele“ (Herrera 320) wirken, während sie noch die Schere in der Hand hält und starr den Betrachter fixiert. Ohrringe sind die einzigen noch verbliebenen femininen Attribute, die Frida sich erlaubt. Die Dokumentation ihrer Selbstver-stümmelung hätte nicht anklagender ausfallen können. Und sie wirkte. Ihr kleiner Junge, ihr riesengroßes Kind, ihr Augenstern, versprach Besserung und noch im gleichen Jahr nach seiner Rückkehr aus New York zog er wieder bei ihr ein. Frida schrieb an Dr. Eloesser, ihren Arzt: „Dann kam Diego zurück, und Du kannst Dir ja vorstellen, wie man ihn umsorgen muss und wieviel Zeit er in Anspruch nimmt. Immer wenn er nach Mexiko zurückkommt, hat er in den ersten Tagen eine hundsmiserable Laune…. Diesmal hielt die schlechte Laune über zwei Wochen an, bis man ihm ein paar wundervollen Statuen aus Nayarit brachte. Als er sie sah, begann er Mexiko wieder zu mögen. Außerdem aß er dieser Tage eine köstliche Ente in Mole, die mit dazu beitrug, dass er seine Lebensfreude wiederfand. Er stopfte sich derart voll, dass ich glaubte, er würde sich den Magen verderben, aber Du weißt ja, wie zäh er ist.“ (Jetzt wo Du mich verlässt, S. 240). Zwei Jahre später zog Diegos junge Geliebte zu ihnen ins Haus ein, Lupita. Diego adoptierte sie. Frida Kahlo schreibt: „Ich kann nicht klagen, denn die Kleine ist artig wie Michelangelo und kommt charakterlich mehr oder weniger auf ihren Papa, aber nichtdestoweniger sind meine Lebensumstände nicht eben umwerfend. Ich kann mich nämlich nicht erinnern, dass das Ehepaar Rivera zwischen 1929 und 1944 nicht wenigstens eine weibliche Gesellschafterin in seinem Hause gehabt hätte. Home, sweet home.“ (Jetzt wo Du mich verlässt, S. 270)

Nach ihrem Unfall musste Frida 9 Monate liegend in einem Gipskorsett, das ihr kopfüber hängend angepasst wurde, im Krankenhaus verbringen. Sie wurde 22 Mal an der Wirbelsäule und an ihrem rechten Bein operiert. Sie war häufig auf einen Rollstuhl angewiesen und musste Krücken und Korsette tragen. Die Liste ihrer Korsette spricht Bände. Sie hatte eins aus Stahl, drei aus Leder, über zwanzig aus Gips. In einem wäre sie fast erstickt, eins machte sie so aggressiv, dass sie es sich selber vom Leibe schnitt und sich mit einer Schärpe an die Stuhllehne binden ließ, um wenigstens malen zu können. Kahlo brauchte über lange Phasen das Korsett als Stütze ihrer Wirbelsäule, um überhaupt aufrecht stehen und gehen zu können. Gleichzeitig rebellierte sie dagegen und wollte nicht zulassen, dass ein medizinisches Gerät sie als Invalidin definierte. „Ich hoffe, dass ich in zwei Monaten nicht mehr so ein Wrack bin. In diesem beschissenen Leben macht man eine Menge mit, Bruder, und auf die Dauer fällt es einem verdammt schwer, auch wenn man sich abfindet. Sosehr ich mich auch bemühe, stark zu sein, manchmal würde ich das Korsett am liebsten zum Teufel feuern!“ (Jetzt wo Du mich verlässt, S. 295). Tapfer begann sie damit, die Stützkorsette in ihre Kleidung zu integrieren. Sie trug einen langen Rock aus grüner Seide, der mit Bändern an ihr Gipskorsett gebunden war, in das auf der Höhe des Bauchnabels ein großer, grüner Schmuckstein eingelassen war. An den oberen Rand eines anderen Gipskorsetts nähte sie wattierten Stoff, aus dem sie zwei Büstenhalterschalen formte. Mehr und mehr ging sie dazu über, ihre Korsette wie ein besonders kostbares Accessoire zu gestalten, so als hätte sie es bewusst und freiwillig für sich ausgesucht. Eines ihrer letzten Gipskorsette schmückte sie mit kleinen, runden Spiegeln, Schmucksteinen, Federn, den kommunistischen Emblemen Hammer und Sichel und einen von ihr gezeichneten Embryo, der die Züge Diegos trug. Die orthopädischen Gerätschaften maskierten ihre Gebrechen und hoben sie doch gleichzeitig hervor. Das gilt besonders für Fridas Beinprothese. Sie verlor ihren rechten Unterschenkel, nachdem zunächst zwei Zehen amputiert worden waren. Der Verlust ihres Beines war für Frida eine entsetzliche Verletzung ihres ästhetischen Empfindens. Sie verlor allen Lebensmut und versank in eine tiefe Depression. Doch nach ihrer anfänglichen Weigerung, überhaupt eine Prothese zu tragen, ließ sie sich ein Jahr vor ihrem Tod ein prothetisches Bein anfertigen. Es sieht aus wie ein sehr anrührendes und bestürzend-schönes Kunstwerk. Das Holzbein trägt einen Schnürstiefel aus feinstem, roten Rindsleder. Es hat eine Plateausohle, ist mit chinesischen Motiven bestickt und einem grünen Spitzenband mit weißen Federn verziert. Es hat sogar zwei Glöckchen, die bei jedem Schritt leise klingelten.

Musste Frida wieder einmal ins Krankenhaus, weil ein hundsverfluchter Chirurg an ihr herumschnippeln wollte, galt es, den Sensenmann mit ihrem Lebens- und Gestaltungswillen in die Flucht zu schlagen. Sie ließ sich schwarze Seidenpyjamas im Mao-Stil nähen, die einen bequemen Leinenbund hatten und locker saßen. Das Oberteil konnte bei Untersuchungen einfach hochgeschoben werden. Die Hosenbeine und Ärmel bestickte sie mit einem Kreuzstichmuster und mit kleinen Vögeln in einem leuchtenden Rot. Als Abschluss arbeitete sie einen feinen Hohlsaum ein. Je größer ihre Gebrechen und Schmerzen wurden, desto schriller stilisierte sie sich. Einer ihrer letzten öffentlichen Auftritte fand im April 1953 in der Galeria de Arte Contemporáneo statt, als Frida ihre Soloausstellung eröffnete. „Sie kam, von einer Motorradeskorte begleitet, im Krankenwagen angefahren, wurde auf einer Bahre hereingetragen und in ihr Himmelbett gelegt, das man mitten in die Galerie gestellt hatte. Angetan mit einem ihrer schönsten Tehuana-Kostüme, das Haar im Yalalteca-Stil geflochten, war sie der Mittelpunkt der Ausstellung.“ (Fridas Kleider, S. 48) Ihr Äußeres war ihr auch dann noch wichtig, als sie sich jeden Tag mit 4 Zigarettenschachteln, Drogen und zwei Flaschen Cognac gegen ihre Schmerzen betäubte. Ihre Gäste empfing sie in ihrem Bett, nachdem sie sich Stunden Zeit genommen hatte, sich perfekt gekleidet, geschminkt, frisiert, parfümiert und mit flammend rot lackierten Nägeln zu präsentieren. Wie sonst sollte man denn den Tod auf Abstand halten außer indem ihn verhöhnte und das Leben feierte?

Kurz vor ihrem Ende konnte Frida niemanden mehr um sich haben. Auch ihn nicht, den großen Jungen. Männer waren sowieso nicht zu gebrauchen, wenn man krank war. „Schlaf dort, wo es für Dich am besten ist.“, schrieb sie an Diego. „Ich warte, bis Du mit mehr Ruhe kommen kannst. Arbeite nicht so viel, und gib auf Deine Augen acht.“ (Jetzt wo Du mich verläßt, S.347). Sie blickte auf die Schmetterlinge, die über ihrem Kopfkissen hingen, ein Geschenk des Bildhauers Isamo Noguchi, damit sie etwas Schönes sah, seitdem sie ihr Bett nicht mehr verlassen konnte. „Ihr blieb nur noch, ihre Haare zu kämmen und sich Lippenstift aufzulegen. Gegen Ende ihres Lebens trug sie viel Make-up; dabei gerieten ihr die Farben auf groteske Weise außer Kontrolle. Sie wurde zu einer schrecklichen Imitation der alten Frida Kahlo, die sie einmal gewesen war.“ (Herrera 443).

Frida Kahlo wurde nur 47 Jahre alt. Eine Einäscherung kam für sie nicht in Frage. Aus und vorbei. Sie werde sofort vergessen sein, mutmaßte sie. Doch Zeit für ein Lied, für ein Gedicht müsse bei der Totenfeier sein. Auch ihr Kleid sollte ein Gedicht sein. Sie bestimmte, in einer schwarz-weißen Tracht aus Yalalag, mit Blumen und Bändern im Haar, Ohrringen, kostbaren Ketten und einem Ring an jedem Finger begraben zu werden. Bloß nicht in ihrem Hochzeitskleid. Das hatte ihr kein Glück gebracht.

 

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