Herr mit Hut: Thomas Mann

Thomas MannThomas Mann beherrschte das kleine Einmaleins der Eleganz. Auf Fotografien und bei öffentlichen Auftritten wirkte er stets makellos, genau wie seine Texte. Was formte seinen Stil?  Eine Hommage zum 70. Todestag.

In der Kleidung musste für Thomas Mann alles seine Richtigkeit haben, kultiviert, weltläufig und seriös sein.

Beinahe noch als Gymnasiast besaß Thomas Mann  in seiner Heimatstadt Lübeck als Sohn eines bekannten Kaufmanns bereits einen Namen. Er  verstand sich virtuos auf die Kunst der Selbststilisierung und setzte dafür von Anfang an strategisch seine Garderobe ein. Die Rolle des Bohemiens mit kragenlosem Hemd und weiter Hose lehnte er für sich ab. Sein Leben lang, auch schon als junger Mann, sah er aus ein Vorstandsvorsitzender. Die subtile Kleiderordnung kannte er aus seinem großbürgerlichen Elternhaus. Angeblich schrieb er immer in Anzug und Krawatte und so fragt man sich: Wären seine Texte, formuliert in Jesuslatschen und Jogginghosen, nur halb so gut geworden?

Schon als junger Schriftsteller verstand Thomas Mann sich darauf,  von seinem Schreibtisch aus zu repräsentieren.  Seine Rolle als Literaturnobelpreisträger mit Weltruhm unterstrich er mit seiner High End-Garderobe aus perfekt sitzenden Dreiteilern, blütenweißen Hemden, tadellos geputzten Schuhen, Seidenkrawatten, goldenen Manschettenknöpfen und einem Siegelring.

Thomas Mann  wirkte in seinen präzise geschnittenen Anzügen aber immer auch so, als sei er stoßfest gegen die harte Wirklichkeit verpackt.

Es gab keine überspannten Auftritte, kein ironisches Augenzwinkern, keine Rebellion. Es ging um die perfekte Oberfläche. Die Wahrheit war: Seine Innenwelt war problematisch und anfällig. Seine Tagebücher belegen, dass er sein Leben lang  ein unter Ängsten und Schlaflosigkeit leidender Hypochonder war, der von blonden, jungen Männern träumte, seine Neigungen aber nicht auslebte. Es ging darum, mit Unterstützung des äußerlich perfekten Erscheinungsbildes die Contenance zu wahren, sich zu beherrschen, sich nichts anmerken zu lassen, die gesellschaftlichen Regeln zu befolgen.

Immer wieder widmete er in seinen Tagebüchern einige Worte seiner Kleidung. Sogar am 6. August 1945: “ In Westwood zum Einkauf vo n weißen Schuhen und farbigen Hemden. – Erster Angriff auf Japan mit Bomben., in denen die Kräfte des gesprengten Atoms (Uran) wirksam.“ Wie ein Schauspieler warThomas Mann stets um sein Kostüm besorgt, ohne übrigens die Garderobe der Mitwirkenden auch nur eines Wortes zu würdigen. Nie erfahren wir, ob seine Frau Katia ein langes oder kurzes, ein Woll- oder Seidenkleid, Pelzmantel oder Stola trug.

Exquisite Accessoires befriedigten sein Bedürfnis nach einer gediegenen Lebensführung. Mit fast kindlichem Vergnügen beschrieb er in den Tagebüchern seine Freude an exquisiten Geschenken zum Geburtstag oder zu Weihnachten: das französische Parfüm, den goldenen Füllfederhalter, Handschuhe aus feinstem Kalbsleder, ein Kaschmirschal, ein dunkelblauer Pyjama mit weißen Perlmuttknöpfen, den punktierten, seidenen Schlafrock oder die neue Hausjacke mit breiten Samtaufschlägen.

Ein äußerlich vollkommenes Erscheinungsbild und die penible Gleichförmigkeit des Alltags waren für Thomas Mann die Voraussetzung seiner Produktivität.

Wenn Thomas Mann morgens aufwachte, sagte er sich nicht: „Ach, ist doch eh alles egal. Heute begegne ich nur dem Hund, Katia und sonst keinem wichtigen Menschen. Bleibe ich mal im Pyjama.“

Er war eitel und betrieb an jedem Tag, auch wenn sich keine Besucher angemeldet hatten und er keine Termine mit der Sekretärin hatte, mit großer Selbstdisziplin seine Bekleidungs- und Selfcare-Routinen. In seinen Tagebüchern registriert er  jeden Gang zur Fußpflege und zum Frisör, und davon gibt es viele. Mitunter erfahren wir auch, dass die Kopfwäsche mit „Ölbehandlung“ verbunden war oder mit „nachfolgender Anwendung zu starken französischen Haarwassers“

Jeden Morgen um 8.30 nahm er nach der Morgentoilette vollständig angekleidet sein Frühstück ein. An Sommertagen trug er einen leichten, weißen Anzug mit dem doppelseitig geknöpften Jackett, ein frisch gebügeltes Hemd und weiße Schuhe. In der kälteren Jahreszeit Budapester oder Stiefeletten, dazu einen klassischen Anzug aus feinstem englischem Tuch mit Hemd und Krawatte oder eine stilvolle Fliege. Selbstverständlich band er sie selbst. Fertig gebundene Fliegen waren etwas für Dilettanten.

Um Punkt 9 schloss er die Tür hinter sich und begann mit der Arbeit. Um 1Uhr 15 brachte seine Frau ihm den kleinen Morgentrunk, ein geschlagenes Eigelb, zwei Teelöffel Zucker, mit Cinzano aufgefüllt. Exakt nach drei Stunden legte er den Stift zur Seite. Er kämmte sich das Haar, rückte die Fliege zurecht, setzte den Panamahut oder den Stetson auf, streifte die Handschuh über die Finger und hängte sich den Griff des Spazierstocks über den Arm. Ein letzter Blick in den Spiegel, dann brach er mit dem Habitus eines dandyhafte Flaneurs zu seinem Mittagsspaziergang auf.

Nach dem Mittagessen tauschte er das Jackett gegen eine wattierte Hausjacke aus, zog sich auf das Sofa in seinem Arbeitszimmer zurück und begann seine ausgedehnte Lektüre von Zeitschriften und Tageszeitungen. Um 16 Uhr wurde der Tee serviert, Punkt 19 Uhr Abendessen. Dazu zog er sich um. Einen formellen Abendanlass – ein Diner mit Gästen, eine exquisite Festgesellschaft, eine Theaterpremiere – zelebrierte er in der Königsklasse der maskulinen Abendtoilette: Smoking mit Lackschuhen und Fliege. Auf Reisen trug er seinen grauen Reiseanzug aus Flanell, bei Lesungen den schwarzen Vortragsanzug. Keine Stangenwahre, sondern handgefertigte Einzelstücke.

Merke: Auch Männer können Mode. Am besten in Kombination mit Hirn.

Wer war eigentlich die Frau an Thomas Manns Seite und welchen Einfluss nahm sie auf seine Garderobe? Mehr über die kluge und selbstbewusste Katja Pringsheim erfahren Sie in meinem Buch „Exil im Paradies“.

Kleiden sich Künstler und Künstlerinnen eigentlich anders als wir normalen Leute? Zur Beantwortung der Frage lohnt sich ein Blick auf die großartige Louise Nevelson.

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